Was kann passieren, wenn fünf Jungs zwischen 16 und 18 die Kasper – und Kokoloresmusik, die ihnen von der Plattenindustrie als „angesagt“ verkauft wird, einfach nicht mehr ernst nehmen wollen? Was, wenn ihnen der ganze Pseudo-Rap, die teenagergerecht geschnittene Pop-Stulle und der Boy- und Girlgroup-Wahn nicht mehr schmecken wollen? Nun, heraus kommt dabei zum Beispiel eine Band wie ECHT. ECHT kommt aus Flensburg, ECHT ist jung ? und ECHT ist vor allem ernst zu nehmen.

Auch wenn der (nase)weise Twen sich über die jungen Spunde insgeheim lustig machen mag und sie nur unter Protest für voll nehmen will, so kommt man doch an der musikalischen Wahrheit letztlich nicht vorbei. Zur Probe auf’s Exempel fand sich am gestrigen Abend im MAX beeindruckend viel junges Publikum ein. Es konnte mit dem ersten Konzert der allerersten ECHT-Tour vollauf zufrieden sein. „Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind“ ist lang genug bei den großen Radiosendern und Viva rotiert, um die Fans zu mobilisieren, die die neuen Glückskinder der deutschen Musik aus der Nähe sehen wollten. Selbst Ministerpräsidentin Heide Simonis hätte sich das Bandwunder des Jahres gern einmal beschaut, musste sich gestern Nachmittag beim Termin im Gästehaus der Landesregierung dann jedoch in letzter Minute von Heide Moser vertreten lassen.

Doch auch musikalisch wussten die fünf Flensburger, deren CD just gestern zum Tourstart erschien, zu überzeugen. Mit gefälligen Melodien aus der Großverbraucher-Packung, durchaus ansprechenden Texten zwischen pubertärer Lebensweisheit und jugendlichem Weltschmerz traf die Band den Nerv ihrer Fans. Sänger Kim Frank, charismatisches Zentrum der Band, hat mit seinen 16 Jahren den Stimmbruch souverän hinter sich gelassen. Abgeklärt und sicher vom fetten Halleffekt getragen, sang er sich und mit lauthalser Unterstützung des Publikums durch die neue Single „Wir haben’s getan“, an der übrigens auch der Selig-Gitarrist Christian Neander mitgewerkelt hat.

Überhaupt orientierte man sich sehr stark an den offensichtlichen Vorbildern von Selig – daher auch das Cover von „Sie hat geschrien“. Doch auch wenn ein paar „Große“ ihre Finger in der finanziellen Sahnetorte haben, so sprach das Live-Geschehen auf der Bühne doch klar für die Band. Dort standen fünf Freunde, die sich den Spaß an der Musik von niemandem nehmen lassen. ECHT rockte im besten klassischen Sinne. Gitarrist Kai Fischer machte eine gute Figur an seinem Instrument, auch wenn er und Keyboarder Gunnar Astrup bisweilen etwas mit dem rechten Tempo haderten. Doch mag man dies mit ihrem Song „Ist schon OK, Baby“ wohlwollend ignorieren. Zwar handelt es sich bei den Songs von ECHT nicht eben um innovative Noteneskapaden, doch gelingt es der Band dennoch spielend, dem Ganzen den nötigen Drive zu verpassen und die Fans zu begeistern. Alles muss sich also nicht ändern, wenn ECHT mal groß ist.

Datum: 13.10.1998
Erscheinungsort: Kieler Nachrichten
Autor: Dirk Kuchel