Du bist 17 hast eine Band, spielst runde Rock-Songs mit verständlichen Texten, und keiner deiner vier männlichen Mitmusiker ist hässlich? Nicht schlecht! Dazu kommt vielleicht noch: Die Bravo liebt dich obwohl du ein paar Pickel hast und viel von deinem Instrument verstehst, VIVA liebt dich sowieso und WOM verkauft deine erste Single, die auch ganz nett im Radio funktioniert. Da kann doch nichts mehr schiefgehen…?
Stimmt. Eigentlich nicht. Allerdings wirst du einer Menge Leute begegnen, die genau mit dieser glücklichen Konstellation ein Problem haben, etwa nach dem Motto: „Scheiß-boygroup-alles-hype-und-wenn-die-was-könnten-wären-sie-nicht-so-jung-und-man- hätte-schon-viel-früher-von-denen-gehört-außerdem-doch-alles-zusammengecastet-und-im- studio-getürkt-und-ich-stehe-sowieso-nur-auf-westernhagen. Und alles war noch besser, als wir jung waren…“ Ja. Klar.
Schön, dass ein immer größeres, relativ junges Publikum auch mit einem Sound weitab von Blümchen, Squeezer, Scooter und dem kleinen Beach-Spanner Aaron Carter keine Probleme hat: Die Band heißt Echt: Kim Frank (voc, 16), Kai Fischer (g, 18), Andreas Puffpaff (b, 17), Gunnar Astrup (kb, 16) und Flo Sump (dr, 17). Das Schöne an Echt ist, dass es sie wirklich gibt, und das auch im Studio. Die fünf Musiker beherrschen ihre Instrumente, spielen ihre Songs selbst ein, rocken live ab was das Zeug hält – eine runde Performance in jeder Hinsicht. Und sie haben Erfolg. Der kam allerdings nicht über Nacht, sondern daran arbeiten sie seit 6 Jahren. Man muss also nicht in die der Kelly Family geboren werden, um früh Musik zu machen, es geht auch anders, kann sogar gut klingen und Zeit zum Duschen bleibt auch noch.
Die Flensburger Band entstand direkt in der Schule: Mit dem Wechsel zum Gymnasium im Herbst “91 begannen Kai und Flo als erste mit der Musik. Unterstützt von einem Lehrer lernten sie Instrumente, gründeten eine dieser typischen Schul-Bands und rockten ab: Cover-Versionen. 1993 wechselten Kim und Puffi zur selben Schule und traten der Band bei – der Kern von Echt war da.
1994 fuhr diese Formation im Rahmen des jährlichen Schüleraustauschs nach Carlisle, England, und räumte so richtig ab in der Schülerszene. Zurück in Flensburg und mittlerweile verstärkt durch ihren neuen Keyboarder Gunnar war schnell klar, dass Echt sich auch im Jahr 1995 wieder an diesem Austausch-Projekt beteiligen würde. Ein weiterer Erfolg war die erste CD der Band? selbst produziert, selbst finanziert und trotzdem nicht nur selbst gehört: In England erinnerte man sich derzeit anscheinend ebenfalls gerne an die german boys, und innerhalb kürzester Zeit waren 12 Gigs gebucht. Mittags traten die Jungs in den Schulen der Stadt auf (vor mehr als 3.000 Fans), abends waren die Clubs an der Reihe. Und: Bei ihren Konzerten verkauften sie fast 1000 Exemplare ihrer CD.
Zurück in Deutschland kamen mehr und mehr Angebote für Live-Auftritte? auch außerhalb der Schule. 1996 kam der Kontakt zum Hamburger Label „Laughing Horse Music“ (040 – 822710), woraufhin in den folgenden zwölf Monate eine Menge Demos eingespielt wurden. Die bekam Franz Plasa in die Hände, der Produzent von Selig, Stoppok, Falco und Keimzeit? ein bekanntlich fähiger Mensch mit bestem Geschmack. Plasa lud die Echt zu einer Session ins Hamburger „Chateau Du Pape“-Studio ein, und die Sache lief.
„Alles wird sich ändern (wenn wir groß sind)“ – ein ziemlich genial gestrickter Ohrwurm – wurde bereits bei der zweiten Studio-Session mit Franz Plasa aufgenommen, und die Ende April erschienene Single lief ganz ordentlich im Radio und rotierte auch bei VIVA. Auch die zweite Single ist mittlerweile erschienen („Wir haben’s getan“), einer Komposition an der u. a. auch der Selige Christian Neander beteiligt war. Aber auch der andere Track dieser CD, „Lehn Dich“ (von Gitarrist Kai Fischer, Bassist Flo Sump und Produzent Plasa) lässt auf ein abwechslungsreiches Album hoffen – mit vielen schönen Gitarren! Das Album ist bereits eingespielt und wird im Oktober erscheinen.
Anfang 1998 entdeckt auch die CD-Handelskette WOM die Band für sich: Hier glaubt man an die Notwendigkeit einer Alternative zu den immer gleich klingenden virtuellen Teenie-Groups und Durchschnittblümchen. Die Kampagne „WOM garantiert… ECHT“ die sich auch in einigen Instore-Gigs im Rahmen der kommenden Herbst-Tour niederschlägt, soll den anderen Kindern die Vorteile von handgemachter Musik wieder näherbringen – die kann man nämlich auch selbst machen! Und dann muss man gar keine CDs mehr kaufen… – ähhh – sorry WOM.
Hier Auszüge aus einem Interview mit Gitarrist und Jimmy-Page-/Stone-Gossard-Fan Kai Fischer, der sich, wie die ganze Band, beim Echt-Gig im August über den Dächern von Köln als richtig guter Spieler outete.
G&B: Als ich euere erste Single in der Hand hatte, gefielen mir sofort das originelle Design, das Band-Logo und das ungewohnte Querformat. So etwas unterstützt auch gute Musik ganz gewaltig…
Kai: (grinst) Das war nicht unsere Idee, aber es gibt ja für jeden Bereich Leute, die sich auskennen. Der Name der Band stammt jedenfalls von uns. Und die Band-Geschichte entspricht auch dem, was im Info steht.
G&B: Das passiert selten! Du hast ganz schön früh mit der Musik angefangen…
Kai: Ich habe sofort mit der Band gelernt, das lief parallel. Meine Eltern sind sehr musikbegeistert, und eigentlich wollten sie mich immer pushen, ein Instrument zu lernen. Ich habe dann aus Trotz immer gesagt: Neee, ich will das nicht! Dann habe ich mit dem Bass angefangen, anschließend mit der Gitarre. Puffi hat damals auch noch Gitarre gespielt, lernte dann aber Bass. Eine Zeitlang haben wir bei Auftritten nach der ersten Hälfte immer die Instrumente gewechselt.
G&B: Kannst du dich an die erste E-Gitarre erinnern, die du gehört hast?
Kai: Mein Vater hat eine ziemlich gute Plattensammlung, und ich hatte das zweite Album von Led Zeppelin entdeckt: Ich glaube der Song war „Whole Lotta Love“.
G&B: Interessant, dass diese Musik in den letzten knapp 30 Jahren eine Generation nach der anderen inspiriert…
Kai: Das ist eben die Basis und immer noch das Fundament. Ich entdecke diese Sachen ständig neu. Dieser Sound wird ja auch heute noch oft imitiert: Lenny Kravitz macht es, auf unserem Album wird man das hören können – wir finden diesen Sound einfach gut.
G&B: Welche war die letzte CD, die dir richtig gut gefallen hat?
Kai: Die aktuelle Platte von Herbert Grönemeyer gefällt mir sehr, einfach weil er was Neues macht und nicht stehen bleibt. Die zweite von Pearl Jam habe ich wiederentdeckt, ein bisschen Hiphop höre ich, Nationalgalerie, Selig, die neue Scott-Weiland-CD habe ich mir gekauft… Ich habe tierisch viele CDs, ich gebe mein ganzes Geld für CDs aus.
G&B: Wie hast du die Entwicklung von Echt, von der Anfänger-Schüler-Band bis zum Viva-Act, wahrgenommen?
Kai: Vom Zeitgefühl war das so, als ob man jahrelang auf dem Dorf gewohnt hat, dann in die Großstadt zieht und plötzlich rauscht alles an einem vorbei. Alles ist ganz neu, das Umfeld hat sich verändert, alles ist eben überregional geworden. Früher mussten wir betteln, dass die Lokalzeitung über uns schreibt, heute gibt es Leute, die etwas von uns wollen. Viva haben uns relativ schnell unterstützt, die Bravo auch… – das ging fast ein bisschen zu schnell. Wir hatten überhaupt keine Möglichkeit zu beweisen, dass wir eine Band sind, die sich das erarbeitet hat.
G&B: Ich denke nicht, dass ihr das müsst. Es werden immer Dinge falsch dargestellt werden – und das ist ja der Fehler im System.
Kai: Wir waren immer eine richtige Band, und wenn man dann in so ein Format gepresst wird, fühlt man sich schon gelegentlich richtig unwohl. Aber wir können da auch abstrahieren.
G&B: Wie siehst du euer Publikum?
Kai: Gegenüber anderen „Teenie-Bands“, sag ich jetzt mal, haben wir ein Publikum, das nach oben noch etwas offener ist, was das Alter angeht. Der größte Teil hat natürlich ein sehr niedriges Durchschnittsalter. Gestern ist mir bei einem Gig aufgefallen, dass wir dem Publikum eigentlich eine Musik liefern, die sie sich sonst gar nicht anhören würden, eben weil das schon sehr rockig ist, was wir machen. Und das freut uns, dass wir diese Leute auch dafür begeistern können. (grinst) Das schreckt vielleicht auch einige ältere Leute ab, wenn sie auf einem Konzert in den ersten Reihen nur junge Mädchen sehen, die das lautstark bejubeln und kreischen.
G&B: Sag das mal nicht… Die beiden Singles habt ihr nicht selbst geschrieben. Wie sieht das mit den Songs des kommenden Albums aus?
Kai: Zwei Stücke sind von uns. Das hat sich etwas begrenzt. Wir haben eigentlich immer selbst Songs geschrieben und hatten ja auch eine eigene CD produziert, die wir bei Auftritten verkauften. Irgendwann haben wir uns dann etwas verkrampft und kamen z. B. mit den Texten überhaupt nicht weiter. Jetzt machen wir auch oft die Musik, und die Texte kommen von außen. (grinst) Viele dieser Songs entsprechen uns dann mehr als das, was wir selbst gemacht haben. Ein guter Freund hilft uns dabei und der kennt uns: Die Songs werden uns wirklich auf den Leib geschrieben, sag ich mal.
G&B: Wie sieht’s mit Equipment aus?
Kai: Ich spiele eine 1996er Les Paul Reissue von einem Sixties-Modell über einen neuen Vox AC30, der leider jetzt kaputt ist und ein Marshall-Top. Ich habe auch eine Strat, die spiele ich als Zweitgitarre. Im Studio hatte ich dann natürlich die Sachen von Franz: alte Amps, einen Vox, einen modifizierten Marshall, eine “52er Les Paul, eine Fender Jaguar, eine alte Tele…
G&B: Wie habt ihr aufgenommen?
Kai: Meine Amps wurden alle mit Mikrofon abgenommen, ich spiele immer gleichzeitig über Vox und Marshall ein, und dann wird das nachher entsprechend gemischt. Wir haben dann einen Piloten live mit Gesang eingespielt und dann anschließend alles entsprechend ergänzt und ersetzt.
G&B: Christian Neander war an der neuen Single beteiligt; hat er auch Gitarren eingespielt?
Kai: Er hat bei der Single auch mitgespielt. Das lief etwas unglücklich: Die Aufnahmen fanden vor den Ferien statt, und meine Schule wollte mir nicht freigeben – deswegen war ich nur ein paar Tage da, und Christian hat mitgespielt. Damit habe ich aber auch kein Problem. Im Studio ist das eine ganz andere Sache als live; im Studio geht es wirklich um Erfahrung… ? da musst du wirklich supergenau spielen. Wenn du dich da das erste Mal hörst… (grinst) ? ich dachte nur: richtig schlecht! Eigentlich war ich der Ansicht, ich könne ganz gut spielen, hahaha! Da war ich ganz froh, dass Christian da war.
G&B: Wie groß war dein Anteil an den Gitarren-Tracks?
Kai: Ich habe ungefähr 90 % eingespielt, Christian spielte nur bei dieser einen Nummer, und Franz hat, glaube ich, auch zwei, drei Gitarren eingespielt.
G&B: Seid ihr eigentlich noch in der Schule?
Kai: (grinst) Nein, die Schule hat uns nahegelegt, mal für ein Jahr auszusetzen…
Die Tour-Daten sagen uns, dass die Schule recht hat. Noch einmal zum Kölner-Gig der Band: Jede Menge kreischender Bravo-Leserinnen hatten sich auf dem Dach des Karstadt-Hauses eingefunden, und als Echt dann mit der ersten Nummer loslegten, waren auch die Skeptiker unter den älteren Besuchern schnell überzeugt. Genau wie die kleinen Jungs, die anfangs noch mit kritischem Blick hinter den Mädels standen. Denn da spielte einfach eine groovende Rock-Band gute, gitarrenlastige Pop-Songs. Bei einem Programm von einer Stunde keine Niete im Repertoire zu finden ist schon selten. Und als die Jungs dann bei einer Nummer wegen Verstimmungen dreimal hintereinander einen Refrain so richtig schräg versemmelten, trat Sänger Kim (gute Stimme!) das in der nächsten Ansage so breit wie nur möglich, mit viel Ironie und Humor. Und weiter im Programm… Von so viel Unbefangenheit bei beachtlicher musikalischer Kompetenz könnten eine Menge verklemmter Kopfkünstler ganz viel lernen. Echt.
Datum: 10.1998
Erscheinungsort: Gitarre & Bass
Autor: Lothar Trampert