Zwischen Macho und Mama – Jungs das schwache Geschlecht – Von der Qual, ein Mann zu werden. Zum Filmstart von „Crazy“ sprechen Bestseller-Autor Benjamin Lebert und Echt-Sänger Kim Frank über Sinn und Unsinn des jungen Lebens.
Der eine hat Buch geführt über die Qualen der Pubertät, der andere liefert den Soundtrack dazu – beide mit großem Erfolg. Benjamin Leberts Roman „Crazy“ wurde bereits in 27 Sprachen übersetzt, Kim Frank hat mit seiner Band Echt über 400000 Platten verkauft und für die Verfilmung des Bestsellers den Rio-Reiser-Song „Junimond“ neu aufgenommen. Bei den Dreharbeiten zu „Crazy“ haben sich die beiden 18-Jährigen zum ersten Mal getroffen.
stern: Herr Lebert, in Ihrem Buch schreiben Sie über den ersten Sex. Und Sie, Herr Frank, singen vom ersten Mal. Wie war’s denn nun wirklich?
Lebert: Na ja. Ich war 15. Es war einfach schrecklich. Und irgendwie auch wunderschön. Schon ziemlich ähnlich, wie ich das in „Crazy“ beschrieben habe – und wie es nun auch im Film zu sehen ist.
Frank: Ich war auch 15. Es war grauenvoll, sie war viel erfahrener. Aber Sex ist nun mal ein Handwerk, das man erst erlernen muss. Bei manchen dauert es eben länger. Manche erleben auch nie guten Sex.
stern: Sie sind gerade 18 geworden und gelten schon als Weiberheld.
Frank: Ich habe eine Zeit lang ziemlich viele Mädchen ausprobiert, dann aber schnell davon Abstand genommen, weil es nichts mit Liebe zu tun hatte. Es war mehr wie Sport. Und ich habe bestimmt mit mehr Frauen einfach nur geknutscht und sie dann wieder nach Hause geschickt, als ich mit Frauen geschlafen habe. Ich hasse das Wort „Weiberheld“.
stern: Sie reden aber wie einer.
Frank: Ich habe das mit den Mädchen nur ein Dreivierteljahr lang gemacht. Dann hat mir etwas ganz Wichtiges gefehlt. Liebe.
stern: Derzeit sind Sie beide Single.
Lebert: Ja. Mädchen sind ein Mysterium. Ich verstehe sie nicht. Vielleicht sind sie ja gar nicht so schwierig, vielleicht bin ich nur zu doof, um sie zu verstehen.
Frank: Also, ich kann verstehen, was in dem Kopf von Mädchen vorgeht. Ich kann es nur nicht nachvollziehen. Ich würde nie so handeln wie sie.
stern: In „Crazy“ werden Kinobesucher in den kommenden Wochen zusehen können, wie ein halbseitig gelähmter Junge durch sein Leben hinkt, von Mädchen einen Korb bekommt oder im Mathe-Unterricht scheitert. Was war das für ein Gefühl, diesem Jungen auf der Leinwand zuzusehen, wie er Sie spielt?
Lebert: Es ist hart. Du siehst da jemanden, der dich spielt, und du siehst wahnsinnig viele Fehler, die du eben hast. Das ist schwierig anzugucken. Wenn ich in meinem Kämmerlein sitze und schreibe: „Ich hinke“, ist das nicht so hart, als wenn ich in einem Kinosessel hocke und das sehe. Mich sehe.
stern: Haben Sie mit Ihrem Roman zu viel von sich preisgegeben?
Lebert: Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich mich verkauft habe. Inzwischen nicht mehr. Ich finde es besser, ganz offen zu sein, als wie die meisten anderen Menschen eine Fassade aufzubauen, hinter der man sich versteckt.
Frank: Viele Erwachsene denken, dass sie leichter verletzt werden können, wenn sie sich offen zeigen. Deshalb bauen sie eine Mauer um sich. Ich gebe mich auch sehr offen, und ich bin so noch nie verletzt worden. Und eigentlich habe ich auch nie wirklich Angst.
Lebert: Meine Dauerangst ist, dass sich niemand für mich interessiert. Menschlich, meine ich. Ob Marcel Reich-Ranicki sagt, dass mein Roman jetzt toll ist oder ein Scheißbuch, ist mir egal. Aber viele schlechte Erfahrungen haben mich unsicher gemacht. Wenn man von einem Boxer schon mal total durchgeprügelt worden ist, dann reicht später schon ein kleiner Schlag, damit man umfällt. Wenn ich auf der Straße laufe und einen sagen höre: „Schau dir mal den Krüppel an“, dann falle ich eben um.
Frank: Was für schlechte Erfahrungen?
Lebert: Ich habe meine Schulkarriere in Bayern verbracht, und die Schulen dort haben ja den Ruf, besonders brutal zu sein. Die meisten Lehrer haben es genossen, den Boss zu spielen, und zwar richtig krass. Und das, was man da lernt, ist so unwichtig fürs Leben, dass es richtig wehtut.
Frank: Ich denke genauso. Man verliert in der Schule alles, was wichtig ist. Alles kindliche wird einem da abtrainiert. Ich bin wie ein Fisch durch die Realschule geflutscht.
Lebert: Und ich habe mir zu viele Gedanken gemacht, die nichts mit dem Unterricht zu tun hatten. Jetzt habe ich nicht mal einen Hauptschulabschluss. Aber ich glaube und hoffe, dass ich durch mein Leben gehen werde und darauf scheiße.
stern: Immerhin, auch ohne Abitur: Sie sind beide erst 18, und Sie gelten schon als Helden Ihrer Generation.
Frank: Ich will aber kein Vorbild sein. Wenn die Songs, die ich singe, jemandem etwas geben, für ihn gut sind, ihn glücklich machen, dann freue ich mich. Sonst nichts.
Lebert: Ich fühle mich nicht als Held. Für mich ist die Situation wahnsinnig schwierig.
stern: Überschwängliche Kritiker waren so begeistert von „Crazy“, dass sie es mit den Werken von J. D. Salinger verglichen haben.
Lebert: Ach. Ich habe das Buch mit 15 geschrieben. Da kann man mich nicht mit Salinger vergleichen, natürlich ist das Buch schlechter als „Der Fänger im Roggen“. Es macht das Leben viel schwieriger, wenn deinen Sachen von Kritikern eine künstliche Ernsthaftigkeit aufgezwungen wird. Man muss sich davon frei machen. Im Augenblick möchte ich einfach 18 sein und auch mal Fehler machen.
Frank: Oft höre ich: „Für euer Alter ist das gut.“ Aber wir wollen wissen, ob es gut oder schlecht ist; nicht, ob es für unser Alter gut ist.
Lebert: Das ist der Zwiespalt, in dem man steckt. Man will die Vorteile der Erwachsenen genießen, aber gleichzeitig die Freiheit eines Kindes. Diese Frauenwelt zum Beispiel ist ja super, auf die möchte ich nicht verzichten.
stern: Haben Sie Groupies?
Lebert: Es kamen nach den Lesungen schon immer mal wieder Mädchen zu mir. Aber die haben sich irgendwie nie für mich interessiert, sondern nur dafür, dass ich ein Buch geschrieben habe. Kam nie infrage, mit denen was anzufangen.
Frank: Du bist dann echt nie mitgegangen?
Lebert: Nie.
Frank: Ich finde, das ganze Leben ändert sich, wenn du merkst, dass du einen Schwanz hast. Plötzlich hast du deinen ersten Orgasmus und merkst, dass du ein Typ bist. Bei mir war das so, und dann schlief ich eben nicht mehr bei meiner Mutter.
stern: Und plötzlich kommen Jungs auf so Ideen, wie sie in „Crazy“ zu sehen sind: stellen sich im Kreis und onanieren gemeinsam auf einen Keks. Wer nicht trifft, muss den Keks essen.
Frank: Uuh! Ekelhaft.
Lebert: An meinem Internat haben die Jungs immer wieder mal Kekswichsen gespielt. Ich hab aber nie mitgemacht.
Frank: Meine Eltern sind wie die von Benjamin getrennt, aber ich wurde nie auf ein Internat geschickt. Ich hab bei meiner Mutter in Flensburg gewohnt. Als ich ein Jahr alt war, hat sie meinen Bruder und mich unter den Arm genommen und meinen Vater verlassen. Sie hat alles getan, damit wir eine glückliche Kindheit erleben konnten, obwohl wir nie viel Geld hatten. Da war immer ganz viel Liebe.
Lebert: Meine Eltern leben getrennt, sind aber nicht geschieden. Die Trennung war natürlich furchtbar hart, aber sie kam zu spät, um mich noch negativ zu prägen. Ich war damals schon im Internat.
Frank: Du wohnst jetzt auch allein, oder?
Lebert: Ja, in München. Aber ich will umziehen und suche ein WG-Zimmer in Berlin. Ich will da mein zweites Buch schreiben.
stern: Wovon soll es handeln?
Lebert: Von einem Behinderten.
Frank: Findest du das so gut, wieder über einen Behinderten zu schreiben?
Lebert: Ich kann nichts dagegen machen. Ich muss. Es ist einfach ein wichtiger Teil von meinem Leben.
stern: Was ist wichtig im Leben?
Frank: Sich selbst nicht zu belügen. Daraus ergibt sich alles andere.
Lebert: Sich selbst zu mögen. Die Unterschiede zwischen dir selbst und anderen zu erkennen. Für Dinge zu kämpfen, die dir wichtig sind. Und am allerwichtigsten im Leben ist natürlich die Liebe, darauf läuft am Ende alles hinaus.
stern: Ist Politik wichtig?
Lebert: Ja. Wer sich vor Dingen wegdreht, die jeden Tag passieren, lebt in der Gefahr, dass er nicht mitkriegt, wenn etwas Schlimmes geschieht. Also muss man sich informieren.
Frank: Politik finde ich absurd. Sie hat nichts mit meinem Leben zu tun. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich sage, dass ich mich nicht dafür interessiere, aber du schaltest die Nachrichten ein, und immer siehst du Krieg, immer Skandale, immer irgendeinen Scheiß. Ich will das nicht sehen.
Lebert: Aber man muss für Dinge kämpfen. Und ich glaube, dass auch Parteien für etwas kämpfen können.
Frank: Ach, Politik ist nur Marketing. Es geht um Strategie, Sympathie und Geld. Ich glaube, ich könnte ebenso gut Kanzler werden wie Herr Schröder, weil ich weiß, wie man mit Massen umgeht. Ein Kanzler ist nichts anderes als der Frontman einer Band.
Datum: 06.2000
Erscheinungsort: stern