Bye-bye Teenieband: Bislang galten Echt als erfolgreichste Boygruppe der Bundesrepublik. Jetzt, endlich volljährig, wollen die fünf Flensburger als richtige Rockgruppe anerkannt werden. Über den Selbstfindungsprozess einer ehemaligen Schülerband

Florian Sump hat alles erreicht. Er ist in der Aula seiner Schule aufgetreten und in den größten Hallen der Republik. Er hat eine schicke Wohnung in einer schönen Stadt und war nicht nur einmal Nummer eins in den deutschen Charts. Fans schreiben ihm verliebte E-Mails und Medien fragen ihn nach seiner Meinung zu Gott, der Welt und neuerdings auch zu den Attentaten in den USA. Florian Sump ist 20 Jahre alt, dunkelblond, 1,86 Meter groß, hat grüne Augen und das Sternzeichen Krebs. Er ist Schlagzeuger von Echt und hat gerade ein Problem.

Sump steht bei Douglas am Hamburger Hauptbahnhof vor dem Regal mit den Männerdüften. „Kennst du dich da aus?“, fragt er und kann sich auch nach zehn Minuten immer noch nicht für ein After Shave entscheiden. Also lieber in den Presse-Shop und noch ein paar Comics gekauft für die Bahnfahrt. Sump ist treuer Leser von Fix & Foxi. Ein paar Schritte weiter gibt es das englische Q Magazine. Das druckte unlängst eine Liste von europäischen Bands, die in ihren Ländern noch am ehesten den Status von Robbie Williams als Teenie-Idole erreichen würden. Einziger deutscher Eintrag: Echt. „Wir waren in der Q“, sagt Sump, „wir“, und ballt die Faust. Es ist ironisch gemeint. Ein klein bisschen stolz ist er natürlich trotzdem.

Hört man aber „recorder“, die neue Platte von Echt, könnte man meinen, das in Flensburg gegründete und mittlerweile komplett nach Hamburg verzogene Quintett möchte genau dieses Image der Teenie-Band wieder los werden. Da tröten beatleske Bläser, schwelgen Streicher und wird wiederholt die Daseinsfrage gestellt. Als sollte man hören, dass die Platte in jenem Londoner Studio aufgenommen wurde, in der schon der Oasis-Klassiker „Whats the Story (Morning Glory)“ entstand. Eine durchgängig melancholische Stimmung lässt die Band zudem wesentlich erwachsener erscheinen, als ihr Durchschnittsalter von 19,8 Jahren vermuten ließe. Zudem legt man großen Wert darauf, dass man auf diesem, ihrem insgesamt dritten regulär veröffentlichten Album erstmals alles komplett und höchstselbst geschrieben und eingespielt hat.

Trotzdem: ein völlig falscher Eindruck, versichert Sump. „Das ist jetzt nicht das Debütalbum der wirklichen oder neuen Echt. Wir versuchen keinen Sprung zu machen.“ Immerhin gibt er zu, dass es schön wäre, die Erweiterung der Zielgruppe, die man mit der Coverversion der Rio-Reiser-Ballade „Junimond“ erreicht hat, aufrechterhalten zu können, ohne die altgedienten, meist jüngeren und vorzugsweise weiblichen Fans zu verschrecken.

Einzelne Exemplare dieser Spezies verbringen ihre Schulferien schon mal komplett vor dem Büro der Plattenfirma von Echt in der vagen Hoffnung, einer der „süßen Boys“ (Bravo) könnte zufällig vorbeikommen. Die Hardcore-Fans kennt man mittlerweile persönlich und namentlich. „Das Netzwerk ist unheimlich“, meint Manager Danny Engel. Selbst er bekommt bisweilen E-Mails, in der er von einer Anhängerin gefragt wird, ob er morgen wirklich verreise: „Keine Ahnung, woher die so was wissen.“

Eigentliches Objekt der Begierde sind aber natürlich die fünf ehemaligen Gesamtschüler, die das Abitur dereinst zugunsten der Musik sausen ließen. Seitdem hat sich eine effiziente Arbeitsteilung herausgebildet: Schlagzeuger Sump schreibt die Texte, Gitarrist Kai Fischer (21, 1,72 m, Haare: dunkelbraun; Augen: dunkelbraun; Löwe) den Großteil der Musik. Gunnar Astrup (19, 1,76 m, Haare: blond; Augen: blaugrün; Stier) spielt die Tasteninstrumente und kümmert sich um den Fan-Club und – Zeitschrift, Andreas „Puffi“ Puffpaff (20, 1,88 m, Haare: dunkelblond; Augen: grün; Widder) zupft den Bass und ist der Technik- und Soundtüftler der Band. Schließlich: Kim Frank (19, 1,75 m, Haare: dunkelbraun; Augen: blaugrau; Zwilling), zuständig fürs leicht nölige Singen und die Regie bei den Videos, vor allem aber für den Glamour. Er war Stammgast in den Klatschspalten, vor allem in der Zeit, als er und Bravo TV- Moderatorin Enie van de Meiklokjes (die mit den sehr roten Haaren) ein Paar waren. Bild druckt Fotos von ihm beim Küsschen mit Jenny Elvers, und bei Harald Schmidt wird er in den Sessel gebeten, während der Rest der Band auf den Auftritt wartet. Zum Interview läuft ganz Echt fast pünktlich in der Hamburger Szenekneipe auf – nur Frank nicht, denn „der kommt immer ein bisschen später“. Schließlich kommt er, wie es sich für eine Diva gehört, gar nicht.

Der Erfolg kam früh. Als Echt 1998 mit der Adoleszenz-Hymne „Alles wird sich ändern (wenn wir groß sind)“ einen ersten kleinen kommerziellen Erfolg landeten und anschließend mit dem Deflorations-Gassenhauer „Wir haben“s getan“ an die Spitze der Charts schossen, waren sie lange noch nicht volljährig. Die Songs wurden ihnen hauptsächlich von Branchenprofis geschrieben, beauftragt von Produzent Franz Plasa, der zuvor für Selig, Stoppok oder Falco tätig war. Mitunter engagierte Plasa auch mal einen Studiomusiker für den einen oder anderen Instrumentalpart. Vor allem aber weil sich Viva, Bravo und die restlichen Teenie-Medien auf Echt stürzten wie ein Verdurstender auf die nächstbeste Oase, hatte die Band schnell das Image vom substanzlosen Casting-Projekt weg.

Seitdem ist man bemüht, die Öffentlichkeit vom Gegenteil zu überzeugen: Gegründet wurde Echt 1991 als Schülerband. Das war genug Zeit, Instrumente zu lernen und Songs zu schreiben. Als sie ihren Plattenvertrag bekamen, war man beim Medienkonzern heilfroh, so berichtet Fischer, dass er tatsächlich Gitarre spielen konnte. Selbst bei traditionellen Playback- Veranstaltungen wie dem Teenie-Festival „The Dome“ bestehen Echt darauf, live aufzutreten, und stürzen Veranstalter ins Organisationsschwierigkeiten. „Es ist schon schade“, so Sump, „wenn man das Gefühl hat, dass man ein bisschen was kann, aber niemand das weiß. Das hat auch was mit Eitelkeit zu tun.“

Obwohl sie sich ausgiebig „damit beschäftigen, was von uns transportiert wird“, so Fischer, ihre Interviews mit den einschlägigen Medien autorisieren lassen und versuchen, „die Medien zu nutzen“, um die Botschaft von der natürlich gewachsenen, ehrlichen Rockband unters Volk zu bringen, sind sie diese Vorurteile bis heute nicht losgeworden. Seit dem Erfolg von „Junimond“, das sie für den Soundtrack der Benjamin- Lebert-Verfilmung „Crazy“ einspielten, haben sie bei ihren Auftritten „so Krawalltypen“, erzählt Fischer, „die drängeln sich extra ganz nach vorne, um uns das ganze Konzert den hochgereckten Stinkefinger zu zeigen“. Vielleicht, vermutet der sonst eher stille Keyboarder Astrup, liege es ja daran, dass man als Inbegriff der netten Jungs von nebenan gelte:

„Deswegen hat niemand ein Problem, auf uns zuzukommen und uns die Meinung zu sagen.“ Manchmal werden sie in Hamburg auf der Straße angesprochen, nur um zu erfahren, wie scheiße sie doch seien. „Wir sind wohl Allgemeingut“, sagt Fischer. „Jeder darf mal anfassen“, ergänzt Puffpaff.

Alles wird sich ändern, wenn ich groß bin, haben sie einst gesungen und müssen nun feststellen, dass das gar nicht wahr ist. Mit dem Erfolg begann zwar, so Fischer, „ein Leben auf der Überholspur“. Andererseits aber führen sie in einem Alter, in dem andere sich von ihren Jugendträumen verabschieden, genau jenes unbeschwerte Leben zwischen Übungsraum, Tonstudio und Konzertbühnen, das sich jeder kleine Junge erträumte, als er mit Papas Tennisschläger vor dem Spiegel Rockstarposen übte. „Diese drei, vier Jahre Abenteuer, die wir bisher hatten, die waren es wert“, die Schule nach der mittleren Reife zu schmeißen, sagt Sump – auch wenn sich der Erfolg morgen verabschieden sollte.

Das Geld ist längst gut angelegt, spätestens kurz vor der Rente wird man ausgesorgt haben. Bis dahin leben sie die Band als Reality-Soap, von der jede Bewegung in der Öffentlichkeit sorgsam registriert wird. In den Tagen nach den Attentaten in New York und Washington wurden sie nicht nur von ihren Fans mit Hilfe und Rat suchenden E-Mails bombardiert, sondern auch von allen denkbaren Medien um Stellungnahmen angegangen. „Man steht sehr leicht als Arschloch da“, so Sump, „wenn man sagt, man hat keine Lust, dazu was zu sagen.“ Schließlich gab man ein offizielles Statement heraus.

Echt sind Instanz. „Kleine Kinder und deren Mütter“, hat Fischer festgestellt, erwarten Meinungen und Hilfestellung. Echt sind, auch wenn sie es nicht sein wollen, die einzige echte deutsche Boyband. Wenn Sänger Frank öffentlich zugibt, gern mal einen Joint durchzuziehen, dann löst die ausgiebigeren Diskussionen aus als jede Initiative der Bundesregierung zur Drogenlegalisierung. „Mit der Verantwortung haben wir uns immer etwas schwergetan. Aber langsam kann ich es verstehen“, so Fischer, „dass wir eines der großen deutschen Popphänomene sind.“ Denn: „Einer muss es ja machen“, stöhnt Puffpaff.

Mit fünf unterscheidbaren Charakteren bieten Echt eine breite Identifikationspalette, und ihre Texte stammen direkt aus dem Bauch der postpubertären Selbstfindung. Nur ihre mittlerweile recht avancierte Rockmusik, das hat man selbst schon festgestellt, dürfte wohl für einen guten Teil der Zielgruppe zu anspruchsvoll geworden sein. Prompt enttäuschte „Wie geht es dir so?“, die Vorab-Single zum neuen Album, die kommerziellen Erwartungen.

Deshalb zweifeln sie lange noch nicht an sich selbst. Eher schon an der „Kompetenz der deutschen Musikkäufer“, sagt Fischer, und das klingt weniger arrogant als gesund selbstbewusst. „Sobald sich jemand eine Platte kauft“, glaubt Sump, „dann sind das seine Lieder, denn er hat Geld dafür bezahlt.“ Und Fischer verspricht: „Wir können noch viel weiter gehen.“ Aber mit „recorder“ soll nun eine erste Emanzipation vom eigenen Image vorerst abgeschlossen sein.

„In Interviews haben wir früher vielleicht rumgealbert“, erzählt Fischer, „aber die Musik haben wir schon immer sehr ernsthaft betrieben.“ Erwachsen wollen sie nun sein, ohne ihr Teenie- Publikum zu verschrecken, ernst genommen werden, endlich. Erste Erfolge hat man bereits registriert: „In den letzten anderhalb Jahren sind das immer mehr Leute geworden“, erzählt Sump, „die zwar in ihrem Bekanntenkreis nicht vertreten können, dass sie uns zumindest okay finden, die uns das aber heimlich stecken.“

Auf dem Weg zum Bahnhof würgt Florian Sump beim Anfahren an einer Ampel seinen Wagen ab. Schlagzeuger Puffpaff auf dem Beifahrersitz lacht kurz meckernd auf, Manager Engel im Fond grinst breit. Ein Jahr hat Sump nun seinen Führerschein, demnächst muss er zur Nachschulung. Einmal zu schnell gefahren, einmal geblitzt worden, sagt er. Noch befinden sich Echt irgendwo mitten zwischen Fix & Foxi und After Shave. Die erste Rasur haben sie gut überstanden. Mal sehen, wie sie mit richtigem Bart aussehen werden.

Datum: 19.10.2001
Erscheinungsort: taz
Autor: Thomas Winkler