Echt Über Gary. Gary Über Echt.

Über Echt.

Robert Stadlober (Sänger, Gitarrist von Gary / Schauspieler): Also, ich find‘ Echt scheiße, weil ich die Musik scheiße finde. Es sind sicher 100.000mal bessere Musiker als wir. Aber ich bin der Meinung, dass wir die besseren Songs schreiben, die natürlich nie in der Art Erfolg haben werden wie die von Echt. Ich hab‘ deren neue Single gehört – und die finde ich immer noch mies. [singt] Aber so was gefällt eben den Leuten – und es ist schon eine Kunst, Musik zu schreiben, die vielen gefällt.

Über Gary.

Kim Frank (Sänger von Echt): Oh Gott. Ganz schrecklich. Ich mag Musik nicht, wenn die Leute nicht Musik machen können.

Kai Fischer (Gitarrist von Echt): Ich hab‘ sie bei „Rock Im Park“ gesehen. Auf die Lieder konnte ich mich nicht so konzentrieren. Weil das Konzert einfach nicht gut war. Aber was soll man persönlich gegen so Leute haben?

Diss-Kultur Und Rezeption

Ein wenig Diss-Kultur in Pop und starke Differenzen darüber, wie Songs klingen sollten, die man mit seiner Band raushaut. Und doch fällt die Rezeption von den beiden Youngster-Acts überall ziemlich ähnlich aus.

Robert Stadlober bringt sein authentisches Subkultur-Kapital in Filme adoleszenten emotionalen Overflows ein. Ihm kann man den Punk, den er spielt (gerade wieder in „Engel Und Joe“), abnehmen, da er ihn offensiv auch im Persönlichen auslebt – was neben glamourösen Suff-Appears bei beispielsweise Tomte-Konzerten auch durch die Existenz seiner eigenen Indie-Punk-Band Gary deutlich wird. Das macht doch was her.

Und Echt schienen ohnehin seit diversen Hits auf dem Sprung, um vom peinlichen Lieblingslied zu regulär abzufeiernden Pop-Akteuren zu avancieren. „Du Trägst Keine Liebe In Dir“, „Weinst Du“ oder auch das würdevolle Cover von „Junimond“ (auf dem Soundtrack zum Stadlober-Classic-Streifen „Crazy“) mussten offenbar viel zu viele viel zu lange immer noch mit Trash-Rechtfertigungen flankieren beim Kaufen im Laden, beim Abspielen zu Hause. Da liegt augenscheinlich nichts näher, als beide Acts reinzuholen. Ins Boot von irgendwie distinguiertem Pop-Verständnis. So voll und unüberschaubar es dort auch sein mag, drin waren sie bis jetzt beide nicht, da noch ein reflexartiger Abgrenzungsgestus bisher zu ihren Ungunsten griff.

Soll heißen, dass derart (medial) protegierte Bands und singende Jung-Schauspieler unter Fake-Verdacht stehen und ihre Authentizität erst mal offen und ausdauernd beweisen müssen. In der Kritik scheint dieser An-Bord-Holungs-Prozess nun bereits vollzogen zu sein. Die Betten wurden gerichtet. Der Jetzt-Schreiber Sebastian Wehlings droppt auf der Homepage des Magazins die Aussage, Echt seien eine Spitzenband und Kim Frank sei der einzige deutsche Popstar. Unser Autor Thees Uhlmann heißt die Band in der letzten Spex auch willkommen. Gary sogar schon ein paar Ausgaben zuvor. Sie seien „welche von uns“.

Affirmation ist Sex, wissen ja ohnehin die meisten. Also, willkommen bei „uns“ – wer das auch immer sein mag. Allerdings stellt sich Kerstin Grether in ihrer Rezension des neuen Echt-Albums, „Recorder“, in dieser Ausgabe die Frage, ob der für sie High-End-Musiker-Poser-Pop der neuen Echt-Platte nicht mittlerweile nur noch ein komisches Jungs-Gutfind-Ding ist – das nur noch fälschlicherweise im Ruch von Junge-Mädchen-Fantum verortet ist. Also wohin denn jetzt mit alledem?

Ein Blick in die intro.de-community weist das Thema, also die beiden Bands, als etwas aus, was bei uns (formerly known as die Kriegsgeneration) heißes Eisen genannt wurde. Ein langer thread behandelt anhand von Thees“ Artikel die Fragen: wem gehört das alles, wer will die Jungs, und, vor allem, wer will sie nicht?

Musik für junge Leute. Beide Bands besitzen durch ihre Unmittelbarkeit, mit der sie sich und ihre eigene Generation repräsentieren, das, was früher im Rahmen der Dialektik Indie und Nicht-Indie eigentlich bei jeder Band – vor der großen Koalition unter dem Begriff Pop – selbstverständlich war. Sie zwingen dich förmlich zu einer Position. Glaubst du an den letztlich entpolitisierten Pop-Appeal und den Reiz von Stardom-Typen, oder glaubst du an die (symbolische) Möglichkeit, Pop als Produkt abzulehnen? Und für Echtheit zu argumentieren (ohne klassische Indie-Strukturen zu meinen). Kim sagt: „Wir haben erst viel später entdeckt, dass es strafbar ist, in der Bravo zu stehen.“

Beide Bands erzählen, wie beispielsweise HipHop-Kids sie bei Begegnungen mit vollmundiger Ablehnung penetrieren. Und dass in solchen Cliquen der Distinktionsgewinn, Echt gedisst zu haben, tatsächlich eine Rolle für die eigene Identität der Meckerer spielt. Diese Credibilität, die von den Musikmedien gerade aus vollen Händen an Stadlober und Echt für besondere Leistung in Authentizität und Popsong verteilt wird, scheint in real noch längst nicht in dem Maße bewilligt zu sein.

Mit welchen Vorurteilen habt ihr zu kämpfen?

Rasmus Engler (Gary-Schlagzeuger): „Die Leute kommen an und sagen mir: “Hallo, ihr seid aber reich.““

Robert Stadlober: „Oder: Ihr müsst eure Verstärker selbst tragen? Warum habt ihr denn keine Limousine?“

Rasmus: „Das sind dann auch immer Leute, deren Jeanshemd mehr kostet als mein ganzer Kleiderschrank samt Inhalt. Schwierig, denen das klarzumachen.“

Wie begegnet ihr dem?

Robert: „Kommt auf den Alkoholpegel an. Ich hatte eine große Diskussion mit einem – und stand irgendwann auf dem Dach von einem Auto und habe wie ein Wanderprediger alle angeschrien. Das war in Brilon. Das fand auch niemand mehr so toll. Aber ich fand’s gerade gut so. Danach waren wir noch im Kump und haben ordentlich getrunken. Da fanden uns die Leute dann auch wieder gut. Als die gesehen haben, dass wir genauso viel Bier trinken können wie sie, hatten wir den Respekt gewonnen, den wir vorher nicht hatten.“

Alkohol als Möglichkeit, Respekt zu etablieren. Smells like Bundeswehr-Glamour.

Flo Sump (Echt-Schlagzeuger & -Songwriter): „Es ist schon sehr schwierig, vor allem bei Bekannten, nicht bei Freunden. So ab dieser zweiten Schicht. Dass, wenn du wohin kommst, du erst mal durch so’n Test durchmusst, eine Art Nettigkeits-TÜV. „Ey, bist du eigentlich noch normal?“ Diese Fragen nerven einfach irgendwann. Weil: du willst nicht wohin kommen und dich erst mal rechtfertigen.“

Wirklich Reizfigur sein. Was auf den ersten Blick auf viele Pop-Oberflächen zutrifft, ist natürlich nur in den seltensten Fällen von Substanz. Echt und Gary sind auf jeden Fall welche, eben weil sie neben/statt ihrer medialen Identität auch ihre eigene etablieren wollen. Eine, die ihnen wirklich selbst gehört und entspricht. Und die Authentizität nicht nur als Pose beschwört, sondern damit in echt dealt. Einen großen Reiz macht dabei natürlich der struggle aus, Öffentlichkeit lenken zu wollen, um sich über die Prothese der eigenen Marke hinaus darstellen zu können. Ein großes Mysterium ist es allerdings nicht. Wie das individuell bei den Bands funktioniert. Ist offensichtlich.

Echt setzen auf klassisches Musiker-Sein. Kompetenz und ausgeklügelte Song-Strukturen, beseelte wie technisch astreine Instrumentierung. Wobei ihr growing-in-public ja mit dem neuen Album genau auf den Punkt hinausläuft, dass man hier und heute nun stolz sagen kann, erstmalig ohne jegliche Fremdeinwirkung (und im Abbey-Studio in England) sich selbst in Szene gesetzt zu haben. Und diese selbstausgedachten Songs verwalten dabei keinen Mangel, sondern halten mit dem bisherigen Output problemlos mit. Und mit „Wie Geht Es Dir So?“ haben sie natürlich einen unheimlichen breaker am Start, der die eigene Versiertheit gut demonstriert und mit seinem happy funky Big-Band-Slang nur die Böswilligsten an etwas wie das Muppet-Show-Thema gemahnen mag.

Dass das nicht der Ansatz von Gary sein kann, steht außer Frage. Zu sehr ist der Erhalt des Plattenvertrags an die Person Roberts gekoppelt gewesen (siehe Interview-Passagen im Folgenden). Zu sehr steckt die Band musikalisch noch im Findungsprozess. Gary halten insofern dagegen, dass sie durch Roberts Schauspieler-Karriere in noch entfremdeteren Zusammenhängen auftauchen und dort ihr Punk- respektive Indietum auf das Funktionieren via ein paar O-Ton-Statements in Cinemaxx-TV clashen lassen. So wurde ich persönlich zum ersten Mal auf Robert aufmerksam, als er in ebenjenem Format völlig überraschend Bandnamen wie Lemonheads und Get Up Kids droppte. Danach hatte in der Nummer wirklich keiner gefragt. Aber er teilte das trotzdem aus. I’m no fake. Robert: „Das ist keine bestimmte Herangehensweise. Ich habe da nie drüber nachgedacht. Was anderes, als das erzählen, kann ich nicht. Ich möchte in Interviews nicht anders sein müssen, als ich bin. Wir haben dabei ja schon den Sport, in den kürzesten Interviews immer noch die meisten Bandnamen unterzubringen.“

Kontrolle zurückbekommen. Benutzen, was dich benutzt.

Gary. Meet The Feebles I

„Ich hatte letzte Woche eine Gehirnerschütterung und sollte eigentlich schlafen. Zwei Wochen lang im Bett liegen. Ich habe es genau vier Stunden ausgehalten, und jetzt geht es mir wieder gut.“ So begrüßt uns Robert Stadlober. Er ist oft in den teuersten Hotels, jetzt aber gerade im Blubox-Studio. Dieses liegt in Troisdorf, in der Nähe von Köln, wirkt trostlos, mehr Industriegebiet als Stadt. Die Imbissstuben sind okay heruntergekommen und von Alkoholikern mit roten Nasen bevölkert. Kein schöner Ort, kein Glamour, gar nichts.

Das Blubox-Studio selbst ist freundlich versifft, Aschenbecher, Bierdosen, Proberaum-Atmo. Auf dem Sofa mit den Brandflecken schläft der Schauspieler Robert Stadlober. Hier im Blubox nimmt er gerade mit dem Produzenten Kurt Ebelshäuser (Musiker bei Scumbucket und Blackmail) das Debütalbum der Band Gary auf. Das belegt den Willen zum – Achtung, schon wieder dieses Wort – authentischen gitarrenlastigen Sound, gefälliger Chartrock wurde schon bei der Studio-Wahl von der Optionsliste radiert.

Gary – das sind zurzeit nur noch Robert und der Schlagzeuger Rasmus Engler. Der Bassist David Winter, ehemals „bester Freund“ von Robert, ist draußen. So etwas, so eine Situation, ist bei den meisten jungen Bands völlig normal. Bis eine Band sich und ihren Sound findet, kann viel passieren, können Freundschaften zerbrechen und wieder entstehen, entdeckt einer, dass er keine Lust zum Proben hat oder dass der Schlagzeuger doch der bessere Sänger ist. Nur normalerweise hat die Band zu diesem Zeitpunkt eben noch keinen Plattenvertrag beim Major, noch keine Single in der VIVA-Rotation und keinen Vorschuss, den sie bei einem unglücklichen Ausflug nach Chicago „verbrennen“ kann.

Es ist schwer zu sagen, ob es für Gary – eine Indieband, deren Protagonisten jede B-Seite der letzten Built-To-Spill-Importsingles mitsingen können – zu diesem Zeitpunkt so gut ist, schon so im Mittelpunkt des Interesses der Medien zu stehen. Ob das nicht alles viel zu früh, viel zu schnell kommt. Gary wissen, dass sie ihren Majordeal nie bekommen hätten, wenn der Sänger der Band kein anerkannter Schauspieler und vor allem kein Mädchenschwarm wäre: „Die reden uns in die Musik nicht rein. Die haben keine Ahnung, was wir hier aufnehmen. Alles, was die kennen, ist die Single. Wir könnten hier den brachialsten Death Metal machen, und das müssten die dann nehmen. Denen ist die Musik eigentlich komplett egal. Unser A&R ist eigentlich House-DJ. Die Sachen, die er sonst signt, sind deutscher Soul und HipHop.“

Robert Stadlober himself ist hübsch. Er hat schöne Hände, ist dünn, sieht verletzlich aus. Er wirkt extrovertiert und impulsiv, dann aber auch wieder total schüchtern. Wenn er aus seinem Leben erzählt, klingt das oft nach Piratengeschichte.

„Ich habe immer geklaut wie ein Bescheuerter. Ich habe lange Zeit mit Leuten aus meiner Schule den Woolworth leer geräumt. Auch so Sachen, die wir gar nicht brauchten, die haben wir draußen den Bettlerkindern geschenkt.“

Du bist auch ganz früh zu Hause ausgezogen. Wie war das dann?

„Es war chaotisch. Alkoholisch. Ich hatte immer stinkende Punker bei mir, manchmal fünfzehn Leute, die dann bis zu zwei Wochen lang bei mir geschlafen haben. Leute, die ich von der Straße kannte, habe ich einfach mit zu mir nach Hause genommen. Leute aus Bauwagenplätzen. Irgendwann hat das gereicht, weil Idioten begonnen hatten, Sachen von mir zu klauen. Die Wohnung, das waren auch nur anderthalb Zimmer. Da war eigentlich nicht mal Platz für einen zweiten Punker, aber es waren fünfzehn da. Die haben auch in dem Raum, wo meine Dreckwäsche war, geschlafen. Ich hatte sogar mal Sex in diesem Zimmer, während ein Punker da geschlafen hat. Ich kam mit meiner Freundin nach Hause und hatte vergessen, dass der da lag, angezogen, mit Springerstiefeln. Und dann haben wir es auf den stinkenden dreckigen Klamotten gemacht.“

Robert will nicht auf „das Mädchenschwarm-Ding“ reduziert werden: „Ich habe die Schauspielerei nicht im Lotto gewonnen, ich spiele nicht in einer Soap, sondern bin einer der ernst zu nehmenden Schauspieler in Deutschland. Und ich mache auch nur Sachen, die ich machen will.“

Du hast das alles sehr jung erlebt, das Bekanntwerden …

„Ich bin noch total jung.“

Fühlst du dich manchmal auch zu jung und denkst, das überfordert dich alles?

„Das hätte mich auch überfordert, wenn ich älter gewesen wäre. Das überfordert mich jeden Tag. Es macht keinen Spaß, wenn man auf ein Konzert geht und immer jemanden an der Backe hat, der einem ins Ohr labern will, was er von einem hält. Es nervt, dass alle Leute, die mal einen Film von mir gesehen haben, meinen, mir Ratschläge geben zu müssen. Fünfzehnjährige, die mir sagen: “Robert, du musst nur du selbst sein.““

Wie ist das, so herumgereicht zu werden? Auf Partys. Als der junge Schauspieler, der jetzt auch noch eine Band hat.

„Wie es ist? Doof ist es. Ich war nie wirklich gut in Kommunikation und habe mich nie gut in Gruppen eingefügt. Das ist jetzt noch schlimmer geworden. Ich habe ja nicht den Beruf Prominenter gewählt – ich will Schauspieler sein und will Musik machen. Ich versuche einfach, trotzdem mein normales Leben zu leben, ich möchte mich nicht in einem Promiclub verschanzen. Ich möchte ganz normal in Hamburg von Laden zu Laden ziehen und besoffen auf der Straße umkippen können. Ohne dass sich jeder das Maul darüber zerreißt. Manchmal finde ich es aber auch geil, gehasst zu werden. Es ist geil, im Internet zu lesen: “Robert ist der schlechteste Schauspieler der Welt.“ Weil ich für mich selbst beschlossen habe, dass es genau andersherum ist.“

Man kann in diesen drei Stunden, die wir mit Robert und Rasmus verbringen, in denen wir mit ihnen Bier trinken, ihre Aufnahmen anhören und über Roberts Gürtel und Rasmus“ Fanzine sprechen, jemanden nicht wirklich kennenlernen. Man kann aber versuchen, zu verstehen, wie sich einer fühlt, der mit neunzehn Jahren nicht mehr ungestört durch eine deutsche Fußgängerzone laufen kann. Der eine große Schere entdeckt zwischen dem, wie er sich sieht, und dem, wie eine Öffentlichkeit ihn sieht. Der sagt: „Ich möchte in Interviews nicht anders sein müssen, als ich bin.“ Oder: „Wenn ich ein Interview von mir lesen würde, ohne mich zu kennen, würde ich denken: “Was ist denn das für ein Vollidiot?““

Echt. Meet The Feebles II

Und dann mal sehen, wieviel Spaß es wirklich macht, Echt zu sein. „Unsere Jungs“, wie Thees sie nennt. Die fünf Flensburger sind während der Popkomm anzutreffen auf der Dachterasse des Savoy-Hotels beim Frühstück. ? la möchte-wissen-was-arme-Leute-um-die-Zeit-gerade-machen. Gehört dazu, und partieller Luxus funktioniert ohnehin höchstens noch in der Wagenburg als irgendein Ausschlussargument. Echt bleiben dabei. Entgegen dem fürstlichen Zeitaufkommen, das wir durch die Selbstorganisation des Troisdorf-Tripps für Gary rausgeschlagen hatten, findet das zweite Gespräch lediglich im Rahmen eines Interview-Vormittags statt. Weniger Bonus-Kennenlernen – dafür mehr auf den Punkt gebrachtes Fragen“n“Antworten. Echt wirken noch sehr jung, sind aber – in angenehmster Art – natürlich Profis in dem Spiel. Motiviert und in time erzählen sie ihre neue Platte und in aller Reflektiertheit ihren geilen Status zwischen walk-of-fame und omnipräsenten Fallstricken.

Inwieweit könnt ihr euer Image bzw. das, was auf euch projiziert wird, kontrollieren? Will man das überhaupt?

Flo: „Irgendwie haben wir da diverse Stationen durchlaufen. Anfänglich gab es eine Zeit, in der wir uns über alles geärgert haben, was über uns zu lesen war. Uns schlecht repräsentiert gefühlt haben. Dann haben wir sehr viel Kraft darauf verwendet, alles zu tun, um dagegenzuhalten. Um die Sache richtigzustellen. Wirklich verändert hat es aber nie was. Wir suchen uns halt aus, mit wem wir was machen. Es ist nicht mehr so, dass wir den unbedingten Willen haben, den Leuten zu zeigen, wer wir wirklich sind, wenn es denen nicht von selbst offenbar wird. Und es gibt auch viele Leute, die in Interviews gleich auf Konfrontationskurs mit uns gehen, das wird dann gleich unentspannt.“

Kim: „Allein die Tatsache, dass wir jung sind, dass wir auf einer Bühne stehen, dass ganz viele Mädchen uns gut finden, erfüllt den Tatbestand, dass wir drogenabhängig, arrogant und blablabla sind. Und das macht es schon unmöglich, dass man uns überhaupt sehen kann. Dass man überhaupt das nehmen kann, was wir anbieten.“

Diese letzten Sätze erinnern an einen großen Mythos in Pop. Genau, Take That. Deren Weg von der Bestie der Kleine-Mädchen-Träume hin zu Pop hat in seiner attraktiven Form einst viele ganz schön überrascht – und spuckte mit Robbie Williams ja das Ding überhaupt aus. Das hatte man nicht erwartet. Bei Echt hingegen kann man es sich mittlerweile ganz gut vorstellen, dass es zu solchen Höhen kommen mag. Schließlich zeigten die Jungs auch, was sie so haben, als sie nackt die Reeperbahn runterrannten in einem Video. Let me see you stripped down to the bone. Nicht nur für Robbie ist Arsch rausstrecken bis hin zur selbstverletzenden Nacktheit („Rock DJ“) ein wichtiges Thema. Selbst, darstellen.

Und ihr verweigert euch aber auch bewusst einigen Medien?

Flo: „Nein, so sollte das nicht rüberkommen. Generell verweigern wir uns eigentlich keinem. Wir haben wohl wirklich jedem seine Chance gegeben. Es gab so Sachen, dass ich mit Kim in einem Hotel geschlafen habe und am nächsten Morgen so eine RTL-Tante vor der Tür stand. Und bis zum Interview selbst, bis Kim in seinem Sessel saß, war abgemacht worden, über manche Sachen, über derzeitig Breitgetretenes [meint die mittlerweile beendete Liaison zwischen Kim und Enie Van De Meiklokjes von VIVA] nicht zu reden. Und in dem Moment, als die Kamera lief, haben die auf all das geschissen, was sie uns zugesichert hatten, und gleich damit angefangen. Dem begegnen wir so, dass wir aufstehen und gehen.“

Ist es richtig zu sagen, dass sich eure Entwicklung von einer fremdbestimmten Position hin zu einer Subjekt-Position vollzogen hat?

Flo: „Es war nie so, dass man uns etwas aufgedrängt hat. Aber es kamen in der Tat Sachen von außen, zu denen wir dann ja oder nein gesagt haben. Also haben wir auch Dingen zugestimmt, die nicht von uns kamen, weil wir eben dachten, das ist gut für uns. Aber es ging ganz schnell los, dass die Motivation da war, alles selbst in der Hand zu haben. Erst ist alles ein großer Spaß. Aber dann merkt man, was einem selbst gut und was einem an der ganzen Sache nicht gefällt.“

Kim: „Wir waren anfänglich schon sehr kompromissbereit.“

Kai: „Und hatten für einige Dinge nicht so ein Bewusstsein.“

Kim: „Ich weiß aber nicht, ob man unsere Entwicklung jetzt immer so hinstellen muss, dass wir erwachsener oder ernster geworden sind. Auch wenn es als Kompliment gemeint ist. Ich würde sagen, wir haben uns verändert, und man konnte uns dabei zugucken.“

 

Datum: 08.10.2001
Erscheinungsort: Intro
Autor: Linus Volkmann