(01.10.00 – mb/ar) Mit Balladen wie „Weinst du“ oder zuletzt dem Rio Reiser-Cover „Junimond“ schlagen die Jungs von „Echt“ musikalisch eher sanfte Töne an. Wer sie schon einmal auf einem Festival erlebt hat, weiß aber, dass hinter der braven Fassade deutlich mehr steckt. Nach dem spektakulären Striptease auf der Hamburger Reeperbahn vor sechs Wochen nutzten wir die Chance, mit den fünf Flensburgern über nackte Tatsachen, Rechtsradikalismus und Zukunftspläne zu sprechen.

In den letzten Wochen gab es ziemlichen Wirbel um euch und einige sehr freizügige Fotos. Bereut ihr, dass ganz Deutschland euch nun nackt kennt?
Kim: Nö, überhaupt nicht! Die ganze Aktion hat ja das gebracht, was wir wollten: Aufmerksamkeit für unsere neue Single „2010“. Der Song liegt uns halt sehr am Herzen und wir wollten deswegen auch mal ungewöhnliche Wege gehen, um ihn bekannt zu machen.

Wie waren denn die Reaktionen auf die Nackt-Bilder?
Gunnar: Durchweg positiv! Am Tag nachdem die Fotos in der „Bild“ zu sehen waren, liefen wir über die „Popkomm.“ und haben dort eigentlich nur nette Worte gehört. Auch die Fans haben sehr relaxt auf die ganze Aktion reagiert.
Kai: Natürlich hört man dann auch mal Sachen wie „Nun zieh noch mal die Hosen runter“, aber da lacht man einfach drüber und dann ist das auch gegessen.

Einige Zeitungen hätten euch viel Geld dafür gezahlt, wenn ihr euch nackt für sie ausziehst, ärgert euch die entgangene Kohle?
Kim: Nein, Geld ist mir nicht so wichtig und überhaupt nichts, worüber ich mir große Gedanken mache. Mir ging“s darum zu sehen, was man mit einer solchen Aktion erreichen kann und wie man eine Botschaft am besten transportiert.
Flo: Jetzt interessieren sich die Leute für „2010“ und werden sich hoffentlich auch mit dem Text und der Message auseinandersetzen.

In dem Clip zu „2010“ seid ihr ja bei waghalsigen Manövern zu sehen, zum Beispiel klaut Ihr ein Auto oder brecht in einen Baumarkt ein. Habt ihr in der Jugend eigentlich auch solche Dummheiten gemacht?
Puffi: (lacht) Nein, wir waren alle ganz brav und in dem neuen Video konnten wir das alles endlich mal nachholen und uns richtig austoben.
Gunnar: Na ja, wir haben in unserer Schulzeit sicher auch die eine oder andere kleine Dummheit gemacht, aber nichts was wirklich jemanden verletzt oder geschadet hätte.
Kai: Der Autoklau und die rasante Spritztour ist ja der Mittelpunkt des Videos und wir wollten damit auch klar machen, wie sehr die Menschen heute an ihren Autos hängen und manchmal an gar nichts anderes mehr denken. Das sehen wir eben gar nicht so, es gibt viel wichtigere Dinge im Leben. Deshalb muss der Wagen im Clip auch daran glauben. Mit dem Video wollten wir einfach auch ein wenig gegen die heutige Gesellschaft protestieren. Heutzutage ist alles schon so festgefahren und manchmal auch spießig, jeder denkt nur an sich. Da kommen zum Beispiel die Probleme der Jugend oftmals viel zu kurz.

Wie seht ihr denn die Situation der Jugend heutzutage, wenn ihr zum Beispiel an Punkte wie Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus denkt?
Kim: Ganz ab davon, dass die Gewalt der Rechten natürlich völlig hirnrissig ist, finde ich, dass das ganze Thema von den Medien in diesem Sommer völlig hochgekocht wurde. Dadurch, dass fast jede Zeitung oder jeder TV-Sender angefangen hat, sämtliche Promis nach ihrer Meinung dazu zu fragen, fühlen sich die Rechten natürlich erst recht aufgepusht und in ihrem dumpfen Gedankengut bestätigt. Sie nehmen es als Ansporn, mit ihrer Gewalt weiterzumachen.
Kai: Ich glaube, vielen Rechten geht es einfach nur darum, Aufmerksamkeit zu erreichen und wenn die Medien jetzt einen solchen Hype daraus machen, lachen sich die Rechten vielleicht auch einfach nur ins Fäustchen.
Kim: Ich kann schon verstehen, dass es viele Leute vielleicht stinkt, wenn in einer Schulklasse von 20 Leuten 18 Ausländern sind oder in den Hochhausburgen am Rande der Großstädte an den Briefkästen fast nur noch ausländische Namen zu finden sind. Das reicht für diese Neonazis oftmals schon, um Gewalt anzuwenden. Das Gewalt aber keine keine Lösung der Probleme ist, checken sie einfach nicht und da muss man ansetzen und wirklich was gegen tun.
Flo: Eben. Jetzt tun wieder alle so betroffen, weil das Thema gerade so in den Medien ist, aber sobald die Präsenz verschwunden ist, wird wieder einfach mit dem Kopf geschüttelt, wenn rechte Gewalttaten passieren, und damit hat sich das Thema.

Habt ihr denn Erfahrungen mit Neonazis gemacht?
Kim: Ja klar, auf der Schule waren auch einige Skinheads, die sich die stumpfe Gewalt angewendet haben. Vor unserer Schule wurden einem Typen mal die Haare angesteckt, nur weil die Skins sich in den Kopf gesetzte hatten, dass lange Haare scheiße sind.
Puffi: Was bei uns in Deutschland einfach noch fehlt, ist das aufeinander zu gehen, sich die Hand reichen und sich für fremde Kulturen öffnen, daran muss man arbeiten.
Flo: Ausländer leben bei uns oftmals auch in regelrechten Ghettos, es fehlt einfach an Integration, die werden einfach ausgeschlossen.
Kim: Andererseits schließen sie sich aber auch selber aus. In Hamburg gibt es zum Beispiel ein paar Discotheken, in die nur Türken kommen. Dagegen war ich noch nie in einem Club, in dem Ausländer nicht willkommen waren. Die wollen sich natürlich auch im fremden Land ihre Kultur bewahren, was auch okay ist. Aber da fehlt es von seiten der Ausländer oftmals an Öffnung und aufeinander zu gehen, denn man kann ja auch gemeinsam zum Beispiel eine Türk-Pop-Party feiern.

Was für Kids, glaubt ihr, sind anfällig für rechte Gewalt?
Kai: Ich glaub nicht, dass das unbedingt nur die arbeitslosen und sozial Schwachen sind. Es ist vielmehr so, dass Jugendliche was brauchen, wo sie sich dran reiben können und durch einen festen Job oder ein gefestigtes Umfeld haben sie auch schon ein solch geregeltes Leben, aus dem sie dann mal ausbrechen wollen.
Flo: Und wenn sie das nicht haben, suchen sie Bestätigung und Halt in einer solchen Bande oder Gruppe, bei denen sie schon mit krassen Sprüchen oder blanker Gewalt akzeptiert werden. Und wenn dir dann noch jemand mit Sprüchen wie „Ausländer raus“ und fadenscheinigen Begründungen dafür kommt, dann glaubst du das vielleicht auch einfach. Ist vielleicht auch eine Art Gehirnwäsche. Die gefährlichen Leute sind ja die Rattenfänger in den rechten Gruppierungen, die mit vermeintlich intelligenten Sprüchen die Jugendlichen von ihrer Sache überzeugen.
Kim: Mag sein, dass es schon fast eine Art Glauben für die Neonazis ist oder religiöse Züge hat. Du glaubst gemeinsam an etwas und du kämpfst gemeinsam für eine vermeintlich gute Sache.

Was sollte man gegen die rechten Gewalttaten tun?
Gunnar: Da muss man schon ganz früh ansetzen in der Schule. Die Ausländer müssen integriert werden und den Kids sollte klar gemacht werden, was sie mit Gewalt anrichten. Außerdem muss man sicherlich Treffpunkte und Alternativen schaffen, damit die Jugendlichen nicht ganz alleine dastehen.

Andere Frage: Wo seht ihr euch denn im Jahre 2010 und wie stellt ihr euch das Leben generell in zehn Jahren vor?
Puffi: Bestimmt werden dann Computer nicht mehr per Hand gesteuert, sondern direkt aus dem Kopf per Gehirnstrom. Vielleicht steuern die Computer auch unseren Kopf. Das Internet wird unser Leben bestimmen und es gibt bestimmt noch mal völlig neue, digitale Musik. Hoffentlich sind dann aber richtige Musiker noch nicht überflüssig.
Gunnar: Bestimmt wird man dann darüber lachen, dass man im Jahr 2000 noch vor so großen Kisten gesessen hat und seine Sachen da eingegeben hat, genau wie man sich vor zehn Jahren noch nicht vorstellen konnte, dass man irgendwann mal überall ein Telefon in der Hosentasche hat und damit erreichbar ist.
Flo: Was uns selber angeht, kann man das noch gar nicht absehen. Zurzeit entwickelt sich alles Schritt für Schritt und ob es Echt dann noch gibt wissen wir jetzt noch nicht. Aber ich denke mal wir alle werden dann noch Musik machen.
Kim: 2010 – das sind noch zehn Jahre, in denen immens viel passieren kann, da mag ich mir eigentlich keine Gedanken drüber machen. Aber ich hoffe, dass es uns allen gut geht, wir gesund sind und weiterhin befreundet sind.

Wie lebt ihr momentan?
Puffi: Nachdem wir uns ja nun entschieden haben, erst mal nicht weiter zur Schule zu gehen, gehen wir fast alle unsere eigenen Wege in Hamburg. Ich wohne ganz alleine, Kai und Flo wohnen zusammen mit einem Freund in einer WG und Gunnar wohnt auch in einer WG.

Habt ihr eigentlich in diesem Sommer Zeit für Urlaub gehabt?
Gunnar: Nein, wir haben auf etlichen Festivals gespielt und keine freie Minute gehabt. Im September gehen wir dann ins Studio und basteln an Rohfassungen von neuen Songs und im Herbst werden wir uns dann eine kleine Auszeit gönnen und entspannen.

Stimmt es, dass ihr die neuen Songs in Amerika einspielen wollt?
Flo: Ja, aber das werden wir erst im nächsten Jahr machen, wenn wir das neue Material komplett zusammen haben. Da wollen wir dann ganz in Ruhe an den Songs arbeiten.

Wann soll denn das neue Album kommen?
Kai: Nicht vor nächstem Sommer, wir wollen uns richtig viel Zeit lassen, um ganz in Ruhe das neue Material fertig zu stellen.

Letzte Frage: Nachdem man euch jetzt nackt kennt, kann man euch demnächst vielleicht auch entblößt auf der Bühne erleben?
Kim: (lacht) Nein, aber vielleicht machen wir mal ein Naked-Konzert, bei dem unsere Fans nackt kommen müssen.

Datum: 01.10.2000
Erscheinungsort: Eurogay
Autor: Mario Bergmann