Ein Erfolgsmodell auf dem deutschen Popmusik-Markt heißt „No Angels“. Ein anderes „Echt“. Was unterscheidet die Retortenband „No Angels“ von der authentischen Flensburger Schülerband? Spannender noch: Was verbindet beide miteinander? FAZ.NET sprach mit Jonas Schäfer, dem Programmchef der Hamburger Plattenfirma „Laughing Horse“, bei der „Echt“ unter Vertrag stehen. Verdankt die Poprockband aus dem Norden ihren Erfolg dem Zufall oder der Maßarbeit eines Kleinlabels?

Herr Schäfer, die Band Echt wird als authentische Schülerband verkauft. Was macht ihre Geschichte so wertvoll?
Das wertvolle ist: Sie wird nicht nur als authentische Schülerband verkauft, sie ist authentisch. Ich glaube, der Zuhörer merkt, gerade, wenn er länger mit einer Sache zu tun hat, ob ihm was vorgemacht wird oder ob eine Band das ist, was sie zu sein verspricht. Gerade im Teenie-Sektor ist es eigentlich die Regel gewesen, Bands nach optischen und musikalischen Gesichtspunkten für den Markt zusammenzustellen. Echt hat da wieder ein Schritt in die Vergangenheit gemacht. Früher war das ganz normal.

Wie wichtig ist heutzutage die Glaubwürdigkeit einer Band? Schließlich kommen die No Angels ja auch von nebenan.
In der Popmusik geht es um Gefühle, da ist Glaubwürdigkeit immer enorm wichtig. Die Glaubwürdigkeit der No Angels liegt auf einem anderen Level. Sie glauben an das, was sie machen, und das glaubt man ihnen auch. Die Jungs von Echt haben einen anderen Anspruch an das, was sie vermitteln wollen.

Was hat die Plattenfirma tun müssen, um Echt marktfähig zu machen?
Die Plattenfirma hat viel unterstützt – im Marketing und in der Promotion. Was für mich am wichtigsten ist: Sie hat sich mit den fünf Jungs sehr eng auseinandergesetzt.

Gab es musikalische Eingriffe oder sonstige zarte Korrekturen?
An dem Konzept waren viele Menschen beteiligt. Wir haben die Jungs bei der Identitätsfindung unterstützt. Allein hätten die dafür sicher länger gebraucht. Unsere Aufgabe war es, gute Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Band zu schaffen. Das wird in Deutschland immer noch häufig vernachlässigt. Und es war ein langer Prozess.

… der die Band auch sicherlich verändert hat. Ist die dann eigentlich überhaupt noch „echt“?
Die Band ist echter denn je. Die Jungs haben ihren Weg gefunden, sie haben sich immer mehr sich selbst angenähert. Das zeigt auch das neue Album sehr deutlich.

Die Band hieß bestimmt nicht immer so. Welcher Name stand auf dem Demo-Tape, das die Band irgendwann einmal an die Plattenfirma geschickt hatte?
Die Sache war anders. Ich machte gerade Abi, als ein paar Jungs aus der fünften Klasse zu mir kamen und sagten, sie wollten Musik machen. Aber nicht mit einem Lehrer, und ich hätte ja schließlich ein Studio. Die Band hieß zuerst „Unterstufen-Rockband“. Dann hießen sie mal „Seven-Up“, eine Zeitlang „Momo“, es gab viele Namen. Und als wir dann die erste Platte fertig hatten, sagte ich: „Jetzt entscheidet euch mal für einen Namen. Sonst machen wir das für Euch.“

Ein paar Tage später kamen sie an: „Wir haben uns einen Namen überlegt. Der gefällt Dir bestimmt super: „Echt“. Denk mal drüber nach.“ Ich habe erst gedacht, die wollen mich verarschen. Aber dann wurde mir klar, dass die Band in einem Teeny-Umfeld landen würde – noch bevor sich Bravo für die Band interessierte. Und uns fiel auf, dass eine Band mit fünf Jungs im Alter von 15, 16 Jahren in Deutschland normalerweise Boygroup heißt.

Die Jungs hatten richtig Glück. Welche Chancen hat der hoffnungsvolle Nachwuchs normalerweise im Zeitalter der Retortenbands, ohne dass die Plattenfirma ihnen die Musik vorschreibt?
Es gibt wenig Chancen. Deutschland fehlt die Nachwuchsförderung. In England gibt es in jedem Kaff ein Tonstudio, in dem man für 20 Mark einen Song aufnehmen kann. Solche kleinen, kommunalen Einrichtungen fehlen bei uns. Natürlich sind auch die Plattenfirmen schuld an der Situation. Die pflegen ihren Nachwuchs nicht. Aber wenn man mit 40 Acts arbeitet, ist es auch schwierig, für alle die gleiche Liebe aufzubringen.

Für Newcomer lohnt sich also ein Vertrag mit einem kleinen Label, weil das mit größerer Sorgfalt und Intimität arbeitet. Wie vermeidet man aber als kleines Label, dass die Künstler gehen, sobald sie bekannt sind? Dass man als Durchlaufstation arbeitet?
Einfach gute Verträge machen. Und die Künstler gut behandeln.

 

Datum: 17.08.2001
Erscheinungsort: FAZ
Autor: Fridtjof Küchemann