Der Musiksender MTV feiert am Mittwoch seinen 20. Geburtstag. Es gratuliert Kim Frank, nur ein paar Monate jünger und Sänger der Band „Echt“: Mein Name ist Kim Alexander Frank. Geboren am 24.05.1982 in Flensburg, einer Kleinstadt im Norden Deutschlands. Das bedeutet, nächstes Jahr werde ich 20. MTV ging am 1. August 1981 in New York erstmals auf Sendung. Das bedeutet, MTV wird dieses Jahr 20. Meine Mutter bekam mich trotz vieler Probleme in einer kleinen Frauenklinik. MTV bekamen wir ohne Probleme auf unserem kleinen Stubenfernseher.
Das Kabelfernsehen eröffnete uns neue Welten. Ich wurde vom Tagesprogramm des Kindersenders Tele 5 eingenommen, mein Bruder durch die magischen, fremden Welten des des Musiksenders MTV. Trotz Diskussionen ließ ich mich gerne von diesem bunten, relativ schnellen Wechsel von Musik und Bildern gefangen nehmen. In einer Sprache, die wir nicht verstanden, lauschten wir der schönen Simone Angel, die über Glamour berichtete.
Mein Bruder hörte auf, vor dem Radiogerät zu sitzen und über die Moderatoren zu fluchen, die wieder in seine Aufnahme quatschten. Die neuesten CDs wurden nun von MTV an ihn herangetragen. Da landete Sophie B. Hawkins“ „Right beside you“ (die Radiosender zählten, wie oft die Zeile im Lied vorkommt) neben „Hyper, Hyper“ im CD-Regal.
Ich war klein, hatte nie viel Geld. Und wenn, sparte ich lieber, anstatt mir rundes Plastik dafür zu kaufen. Dabei war eine CD-Sammlung genauso wichtig wie eine Levis 501. Ich erinnere mich, wie ich in der sechsten Klasse einen Mitschüler belog, als wir über meine Sammlung sprachen, die natürlich größer war als seine… Von ihm kaufte ich bald darauf für 20 Mark meine erste CD: das zweite Album der Fantastischen Vier, „Die Vierte Dimension“. Es war in aller Munde, auch mein Bruder und ich saßen vorm Fernseher, als diese erste deutsche Band auf dem damals noch rein englischsprachigen MTV mit „Die da“ gesendet wurde.
Ich lernte viel Englisch durch MTV und war sehr enttäuscht, als es nach und nach eingedeutscht wurde, bis es später gar keine englischen Sendungen mehr gab. Die Magie der fremden Welt ging ein wenig verloren, hinzu kamen dafür nun Sendungen, die ich verstand und interessant fand.
Jeden Morgen vor der Schule nahm ich ein Bad. Wenn meine Mutter mich weckte, ließ sie das Wasser ein, so dass ich beim zweiten Wecken in die wohlig warme Wanne steigen konnte. Nach einer halbstündigen Aufwachphase trocknete ich mich ab, setzte mich auf ihr Bett (jeden Tag die gleiche Diskussion, weil ich mein nasses Handtuch auf der Decke liegen ließ) und schaltete den Fernseher ein. Zuerst gab es eine Folge der Schlümpfe, dann MTV-„In Touch“ mit Holger Speckhahn (drei Jahre später lud der mich zu seiner Hochzeit ein).
Das Besondere an MTV macht vor allem der Look aus. Von der Auswahl der Moderatoren über das Studio, in dem sie stehen, bis zur Ankündigung der Sendung übertrifft MTV den Style jedes anderen Fernsehsenders. Damals noch mehr als heute mochte ich vor allem die vielen sehr kunstvollen, kurzfilmartigen Trailer.
Ich finde, es gibt bis heute keinen Fernsehsender, der so viel Wert auf cooles Auftreten legt. Insofern hätte ich verstehen können, dass sie uns als scheinbare Teenie-Band – gehypt durch VIVA und Bravo – abgelehnt haben, wenn sie andere Acts genau so konsequent beurteilt hätten. So aber fühlten wir uns unverstanden, denn den Anspruch an gute Musik lebten wir schon damals.
Sitzen in den MTV-Konferenzen, in denen über die Zukunft eines Künstler entschieden wird, Marketing-Menschen oder Musikliebhaber? MTV hat Macht, denn das Musikvideo gehört zur Selbstdarstellung. Ohne MTV kann ein Lied fast nicht mehr zum Hit werden. Aber nach welchen Kriterien entscheiden die, wer gespielt wird?
Plattenfirma und Regisseur versuchen, ein Video zu kreieren, das MTV unter den vielen anderen, die jede Woche eingereicht werden, auswählt. Man hat nach der ersten Ablehnung immer eine zweite Vorlagechance. Wird das Werk dann wieder abgelehnt, hat die Plattenfirma tausende von Mark in den Wind geschossen.
Als ich meinen ersten Versuch als Regisseur unternahm, war ich mir sicher, dass wir ein Lied und ein Video hatten, das auch zu MTV passen würde. Es wurde abgelehnt. Auch unser fünftes Video zu „Du trägst keine Liebe in Dir“ spielte MTV nur, wenn sie mussten.
Durch „Weinst Du“ brach das Eis ein wenig. Bei „Junimond“, meiner zweiten Regiearbeit, dann die lang ersehnte Rotation, so heißt es, wenn ein Video regelmäßig gesendet wird. Mein viertes Werk, unser Krawallvideo „2010“, bekam sogar für mehrere Wochen ein Powerplay auf MTV, das ist noch besser als Rotation. Wir verstehen nicht, was diesen Sinneswandel auslöste, aber es freut uns natürlich. Auch schön: die Nominierung bei den letzten Europe Music Awards. Plötzlich waren wir unter internationalen Künstlern, den Helden meiner kindlichen Fernseh-Vormittage.
Ich bin gerade im Urlaub, auf dem Dach des Hotels, und sehe ganz Malta. Unser neues Album ist fertig. Vorgestern bekam MTV nach zweiwöchiger Arbeit das aktuelle Video „Wie geht es Dir so?“, das sie zum Glück umgehend spielten. Zum Geburtstag wünsche ich alles Gute und was immer ihr euch wünscht…
Datum: 29.07.2001
Erscheinungsort: Die Welt